Ein persönlicher Beitrag von Micha Steinhauer
„Kannst Du einen Stern anrühren?“ fragte ich das Kind.
“Ja, “ sagte es, neigte sich und berührte die Erde.
Für die Würde unserer Kinder, für das Aufblühen des Menschseins, für eine neue Erde
Die Kleinen ganz groß
Hallo Du, lieber Mensch…
Kennst Du das auch? Du schaust einem Kind in die Augen, und Du siehst darin alle Schönheit der Welt, alle Blumen, alle Wunder des Tages und der Nacht. Du erkennst darin die Märchenwelt eines einfachen Steines, staunst mit ihnen über den kleinen bunten Käfer, bist hingerissen von ihrer Lebensfreude, versinkst mit ihnen in tiefster ehrlichster Traurigkeit.
Kennst auch Du die Stille und die Zärtlichkeit jener ganz besonderen Momente, in denen Du ein Kind wirklich wahrnimmst?
Wenn Du das kennst, dann wirst Du sicher verstehen, wieso ich trotz allem noch immer an die Menschheit glaube.
Ich sage mir: Die Größe, mit der unsere Kleinen geboren werden, ist noch immer in uns, denn auch wir waren einmal Kinder. Es ist die Größe, die in den Momenten durchscheint, in denen wir über unsere Ängste hinausgehen und uns für die Liebe entscheiden, in denen wir authentisch sind, in denen wir ins Leben springen und unser Herz zeigen. Es ist die Größe, die wir in uns spüren, wenn wir unsere Masken ablegen, wenn wir anderen Menschen ganz nah sind, wenn wir uns selbst ganz nah sind.
Ich bin mir sicher: Wenn wir uns als Menschheit wieder auf diese Größe besinnen, werden wir die globalen Probleme lösen und eine völlig neue Welt erschaffen, eine Welt tiefer Verbundenheit mit allem, was ist.
Ich sitze gerade an einem Bach und schaue zu, wie mein jüngster Sohn Miro mit Hingabe darin spielt. Es ist ein sehr munterer und noch sehr natürlicher Bach, voller Vielfalt und voller Leben, mit Stellen, an denen das Wasser ganz sanft und langsam fließt, und mit anderen Stellen, an denen es plötzlich wilder wird und ungestüm über ein Gefälle stürmt.
Es ist also kein begradigter Bach, kein seiner Natürlichkeit beraubter, kein wohlerzogener, braver Bach. Es ist ein wirklicher, ein echter Bach!
Wie sehr wünsche ich mir, dass der sprudelnde Bach, den ich in Miro sehe, sein Lebens lang in ihm lebendig bleibt. So sanft und so wild, so friedvoll und so kraftvoll, so voller Leichtigkeit und dann auch wieder so tief, ja, so wünsche ich ihm sein Leben. Ein Leben aus der inneren Quelle heraus.
Stell Dir einmal vor
… unsere Welt ist so, wie Du sie Dir im tiefsten Herzen wünschst, wie ich sie mir wünsche, wie wir alle sie uns wünschen.
Sie ist so, wie Kinder sie brauchen, um glücklich aufwachsen zu können.
Sie ist so, dass jeder Mensch sich willkommen, geliebt und angenommen fühlt, gerade so, wie er eben ist, mit all seinen Stärken und Schwächen.
Sie ist so, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, tief aus sich heraus all die Schätze zu entfalten, die in ihm angelegt sind – und dass er diese Schätze dann voller Freude der Welt zum Geschenk macht, so wie ein Kind, das glücklich ist, wenn es schenken kann.
Stell Dir das doch einmal vor!
Ist das nicht eine wunderbare Welt?
Es wäre sicherlich keine Welt
… in der Menschen sich aus lauter Verlorenheit gegenseitig den Alltag zur Hölle machen, Menschen also, die sich als Lebenspartner, als Eltern, als Geschwister doch eigentlich sehr mögen. Es wäre keine Welt, in der die meisten Erwachsenen des Geldes wegen an einer Arbeit festhalten, die gar nicht ihrem inneren Ruf, ihrer Berufung entspricht. Es wäre keine Welt, in der Kinder ihre wunderbare Natürlichkeit, ihre Kreativität und ihre Freude am kooperativen Miteinander verlieren, weil sie in ihren Elternhäusern und Schulen nicht genug verstanden werden und weil sie tagtäglich zu Dingen gezwungen werden, mit denen sie nicht wirklich einverstanden sind.
Mir tut es unendlich weh, wenn ich sehe, wie viele Herzensträume bei all dem zerbrechen und wie viel Unheil dadurch entsteht.
Wie geht es Dir damit
… wenn Du hörst, dass Tag für Tag 30.000 Menschen verhungern, während gleichzeitig jährlich 1/4 aller Lebensmittel weggeworfen werden? Gibt es auch bei Dir Momente, in denen Du weinst, weil Du die Verzweiflung einer Mutter mitfühlst, die ihr Kind nicht nähren kann, weil sie selbst hungert? Und siehst auch Du, dass die Reichen dabei nicht wirklich glücklich sind, und dass ihre Gier wahrscheinlich aus der Angst kommt, selbst nicht genug zu haben, nicht genug zu sein, nicht genug geliebt zu werden? Ich frage Dich, welcher Mensch kann schon wirklich glücklich sein, wenn er sieht, dass sein Reichtum ohne die Armut der anderen gar nicht möglich ist?
Zählen wir nicht alle, also auch Du, zu dieser reichen Welt?
Geht es uns wirklich gut damit?
Die Welt, die wir uns wünschen
Ich bin mir sicher: In der Welt, die Du Dir wünschst, würden nicht unzählige Menschen voller Gefühle und voller Lebensträume von anderen Menschen verletzt, gefoltert und getötet werden. Denn in Deiner Wunschwelt würde niemand je vergessen können, dass auch andere ein fühlendes Herz haben. In Deiner Wunschwelt würden nicht in Massenhaltung Tiere als Schlachtvieh gequält und entwürdigt, anstatt sie als einzigartige Wesen zu achten und ihre Schönheit zu sehen. Und in der von Dir gewünschten Welt würde unserem Planeten nicht die globale Katastrophe drohen, denn die Menschen würden das Leben lieben, anstatt es zu bekämpfen.
Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch sich tief in seinem Innern eine glückliche Welt wünscht. Doch wenn das so ist – woher kommt dann all die Gewalt und Zerstörung?
Ich schaue zu Miro hin und spüre, wie sehr ich für ihn hoffe, dass die Menschheit sich für eine lebensbejahende Zukunft entscheiden wird.
Wenn ich das Leuchten sehe, mit dem Kinder auf die Welt kommen, frage ich mich, wieso wir Menschen unsere Wurzeln derart verloren haben, dass wir das Geschenk des Lebens zurückweisen und den Planeten zerstören, der unser Zuhause ist.
Der Weg zurück zu uns
(Kommen wir denn schon zerstörerisch auf die Welt?)
Ich glaube das nicht, denn ich kenne kein Kind, das destruktiv sein will. Ich habe bisher in meiner 30-jährigen Tätigkeit als Fantasiepädagoge immer die Erfahrung gemacht, dass selbst sehr rebellische Kinder innerhalb kurzer Zeit ihr Verhalten ändern und sich aus freiem Willen heraus kreativ und kooperativ verhalten, sobald sie die dafür benötigte einfühlsame Unterstützung erhalten.
Wir wachsen zwar in einer überwiegend an Konkurrenz und Eigennutz orientierten Gesellschaft auf und lernen uns entsprechend zu verhalten, doch wir haben eine große Sehnsucht danach, über diese engen Denkmuster hinauszuwachsen und zu wirklichem Menschsein zu finden. Große ReformerInnen wie Maria Montessori, Rudolf Steiner, Alexander S. Neill, Johann H. Pestalozzi, Célestin Freinet, Rebecca und Mauricio Wild bestätigen mir die persönliche Erfahrung, dass Kinder liebend gerne zu ihrem sozialen Umfeld beitragen wollen, sobald sie sich verstanden und in ihrem individuellen So-Sein angenommen fühlen. Kreativ sein und kooperativ sein – das ist offensichtlich unsere wahre Natur, auch wenn unser Verhalten als Gattung Mensch weltweit das Gegenteil zu beweisen scheint.
Die heilsame Kraft des Weinens – und des Lachens
Ich merke gerade, dass ich traurig werde bei all dem, was wir Menschen uns selbst und unserer Erde antun – und schließe die Augen. Ich weine ein wenig, und die Tränen tun mir gut, lassen mich mir selbst wieder nahe sein.
Als ich die Augen wieder aufmache und zu Miro schaue, muss ich herzlich lachen. Ich sehe, mit welcher Begeisterung er seinen Staudamm aus dicken Steinen und Matsch öffnet, und wie er dem Wasserstrom folgt, der in einem vorbereiteten Kanal jetzt wieder Richtung Bach fließt. Das passt doch richtig gut ins Bild!
Die Staudämme mögen sich öffnen, Tränen mögen fließen, damit wir wieder in den Fluss des Lebens kommen und der Welt unser wirkliches Lachen schenken.
Wie gut tut es, wirklich zu weinen und wirklich zu lachen! Wirkliches Lachen? Vielleicht erinnerst Du Dich, dieses Lachen, wo der Bauch wackelt, wo das Herz vor Freude Samba tanzt und wo sogar der kleine linke Zeh mitlacht.
Du weißt nicht mehr, wie das geht? Das geht mir manchmal auch so. Dann schaue ich kleinen Kindern zu: sie lachen und weinen von Herzen – spielen, toben, staunen, schmusen, streicheln, fühlen, spüren Mitleid mit anderen – werkeln, tüfteln, zerstören und bauen wieder auf, schnuppern, feiern, lieben … tun alles, was sie tun, von Herzen.
Du fragst, wie Du wieder dahin kommen kannst?
Diese Frage kenne ich sehr gut, denn mit ihr habe ich mich selbst vor über 30 Jahren auf den Weg gemacht, um herauszufinden, was ich wirklich will in meinem Leben und wer ich in meinem tiefsten Innern tatsächlich bin. Ich bin noch immer auf diesem Weg, auch wenn er oft nicht leicht ist und mitunter durch tiefe Täler führt. Es ist der Weg der Bewusstwerdung und der Weg der Heilung, Heilung für mich selbst, Heilung für andere, Heilung für die Welt. Und ich bin sehr froh, dass ich damit nicht alleine bin, denn es sind mittlerweile viele Millionen Menschen weltweit, die sich auf diesem Weg befinden. Ich hoffe sehr und gebe all meine Kraft dafür, dass jene von innen kommende Aufbruchsbewegung noch rechtzeitig kommt für die Rettung unserer Welt.
Kinder begleiten: Herausforderung und Quell des eigenen Lebens
Ich lasse das Schreiben jetzt mal sein und gehe zu Miro an den Bach, mitmatschen, mitplanschen, Steine entdecken, Wasser, Sonne und Vatersein genießen. Bei aller Sorge um die Entwicklung unserer Welt – es tut mir gerade verdammt gut, mich daran zu erinnern, dass ich immer JETZT lebe, –
und dass das Leben ein unergründliches Wunder ist, ein Mysterium, von dem wir letztendlich niemals wirklich wissen können, warum die Dinge so geschehen, wie sie geschehen.
– KURZE PAUSE –
So – da bin ich wieder. Hoffentlich hast Du es Dir auch solange gut gehen lassen! Gerade macht mir das Vatersein wirklich Freude, und ich bin oft so dankbar dafür, dass ich es mit immerhin 56 Jahren noch einmal erleben darf.
Wer wie ich mit Kindern lebt, stimmt mit mir wahrscheinlich darin überein, dass es in der heutigen Welt nicht leicht ist, ein Kind so zu begleiten, dass es mit seiner Quelle verbunden bleibt, dass es den Zaubertanz des Baches erleben kann, und dass dieser Tanz auch dann noch in ihm sein wird, wenn es als starker Fluss Verantwortung trägt. Vor allem ist es nicht leicht, ihm den Weg zum Ozean offen zu halten, zur tiefsten Erfüllung seines Lebens, seines Seins.
Woher sollten wir auch das dafür notwendige Wissen haben, wo wir doch selbst oft so weit von unserer Quelle, von unserem Ozean entfernt sind?
Können wir den Zugang zu diesem Wissen wieder erlangen?
Ich glaube, wir können es, denn das Wissen ist in unseren Herzen verborgen. Und wenn ich Kinder beobachte, erinnere ich mich wieder an meine eigene Quelle in mir.
Auch wenn das Elternsein in unserer Gesellschaft nicht einfach ist, kann ich mir kaum eine lebendigere und wertvollere Aufgabe vorstellen als die, gemeinsam mit Kindern zu wachsen. Indem ich mich Kindern wirklich öffne, kann ich so viel Wesentliches über das Leben und seine tiefen Geheimnisse erfahren. Niemand fordert mich so sehr dazu auf, über mich hinauszuwachsen, wie Kinder. Niemand braucht so unmittelbar meine Offenheit, meine Klarheit und vor allem meine Liebe. Niemand braucht so dringend meine Echtheit und hält mir so deutlich einen Spiegel vor die Augen, wenn ich nicht echt bin. Und niemand, ist so elementar davon abhängig, ob ich mein Herz öffne oder ob ich es verschließe, wie Kinder. Vor dieser Aufgabe gibt es für mich als Vater kein Entkommen, und das tut mir gut!
Ich bin zutiefst dankbar für die Erfahrung, Vater zu sein, denn ich bin dabei meinem Menschsein näher gekommen, habe eine Ahnung davon gespürt, wer ich tatsächlich bin.
Gleichzeitig habe ich als Vater auch die Erfahrung gemacht, wie unoffen, wie engstirnig und wie gestresst ich sein kann – und wie sehr ich mein Kind damit verletzen kann.
Ich weiß wirklich sehr, wie es sich in manchen Momenten anfühlt, überfordert zu sein mit einer Aufgabe, für die ich, nach einem afrikanischen Sprichwort, eigentlich ein ganzes Dorf bräuchte.
Die Botschaft der Kinder an uns
„Lasst die Kinder zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich.“
Du fragst nach der Botschaft der Kinder? Diese Botschaft bedeutet für mich zuerst mal ein riesengroßes JAAA an das Leben, mit allem, was passiert. Sie bedeutet für mich die volle Verantwortung für mein Denken, mein Fühlen und mein Handeln. Sie lehrt mich Bescheidenheit und Hingabe an jene namenlose Kraft, die alles durchströmt und die weit größer ist als mein Ego. Sie fordert mich auf, mit all meiner Energie dafür einzustehen, dass unsere Welt menschlicher wird und das Leben eine Zukunft hat. Sie ruft mich auf, mit anderen Menschen zusammen zu wachsen, um gemeinschaftliche Strukturen zu schaffen, in denen jeder Mensch aufblühen kann und in denen jedes Kind einen sicheren und Kraft spendenden Lebensraum vorfindet. Sie legt mir nahe, meiner Intuition und meiner Kreativität noch viel mehr vertrauen zu lernen und damit den Bereich meiner Möglichkeiten zu erweitern. Sie lädt mich dazu ein, die Kunst des spielerischen Seins wieder zu erlernen und diese Leichtigkeit Schritt für Schritt in meinen All-Tag zu integrieren. Sie rät mir dringend, all die erlernten Vorstellungen eines mühseligen und reduzierten Lebens zu vergessen, zu meiner inneren Größe zu finden und mit dem wirklichen Mensch-Sein zu beginnen! Und je mehr ich das tue, umso mehr spüre ich das, was sehr wahrscheinlich unter „Himmelreich“ zu verstehen ist.
Ich empfinde es so, dass jedes Kind seine individuelle Botschaft mit auf die Welt bringt, und dass es voller Sehnsucht danach ist, diese Botschaft auf seine eigene Weise zu verwirklichen. Es ist sein zutiefst persönlicher Traum, sein Ausdruck vom Wunder des Lebens, in all seiner Vielfalt und mit all den unergründlichen Mysterien, die darin verborgen liegen. Aus den Augen der Kinder strahlt das gesamte Potenzial des Menschseins, und wir können darin sehen, wie wunderbar groß Menschen sein können.
Aus diesen Augen strahlt die Vision der Welt von morgen.
Was könnte uns mehr Hoffnung machen als das?
Wie wunderbar wird es sein, wenn auch wir „Großen“ uns immer mehr an diese Botschaft und damit an unsere wahre Größe erinnern. Mir wird gerade warm ums Herz, wenn ich mir vorstelle, wie dadurch eine wirklich ganz andere, eine neue Erde entsteht.