Es fällt mir (Andreas) schwer, das Unfassbare in Worte zu fassen. Dennoch will ich es hier versuchen, um ein wenig mehr Klarheit zu schaffen. Gerne darfst Du mir Rückfragen stellen!
Kurzfassung
Im Einfühlsamen Zuhörkreis ist uns wichtig und wollen wir deshalb üben bzw. leben:
- tief in Kontakt mit uns selbst zu kommen: mit unserem Innenleben (insbesondere auch unsere Körperempfindungen), mit unseren Träumen, Sehnsüchten oder unerfüllten Bedürfnissen sowie unseren Gefühlen – insbesondere den unangenehmen
- alle Masken fallen zu lassen und uns trauen, uns zu zeigen wie wir wirklich sind mit unserer ganzen Andersartigkeit und Verletzlichkeit
- einfühlsam statt verstehend dem anderen zuzuhören und dabei die Selbstfürsorge (den Kontakt zu uns selbst) nie vergessend, d.h. uns auch die Erlaubnis geben, nicht zuzuhören, ganz bei uns selbst zu bleiben oder auch den Raum zu verlassen, wenn ich das gerade brauche
- ich-bezogen (s.u.) dem anderen mitzuteilen, wie wir uns mit seinem SoSein fühlen, falls er in mir etwas getriggert hat, damit wir nicht vor lauter den-Anderen-freilassen-Wollen nur noch aushalten. Nur so kann überhaupt das Vertrauen entstehen, dass ich so sein darf und niemand nur seine Ablehnung versteckt
- ich-bezogenes zu sprechen, damit sich der Angesprochene frei und ok fühlen kann, sich nicht zu einer Rechtfertigung und Erklärung aufgefordert fühlt und ich trotzdem meinem Unbehagen Ausdruck verleihen kann. [Mehr dazu…] (Also kein Shouting-out von Gefühlen ohne Rücksicht auf Verluste!)
- die ungewohnten Methoden (Sanduhr, Redefrosch…) für uns als hilfreich zu erkennen und sie für uns fruchtbar zu machen
- auf Regeln im Sinne „darauf kann ich mich berufen, ihre Einhaltung kann ich einfordern“ zu verzichten und stattdessen bei Nicht-Einhaltung ich-bezogen (s.o.) mitteilen, wie es uns damit geht und welchen Bedeutung die nicht eingehaltene Empfehlung für mich hat
Dabei muss niemand perfekt sein. Jeder darf die obigen Wünsche in seinem Tempo umsetzen. Wir sind alle Lernende.
Trotz unserer Empfehlungen und Hilfen ist nichts bindend, außer unserer gemeinsamen Ausrichtung / Sehnsucht.
Das bedeutet allerdings auch, dass Dir keiner eine Richtung vorgibt. Deshalb brauchst Du eine Idee, was Du im Miteinander anders haben willst und wie – oder dass Du zumindest weißt, was Du nicht mehr willst (z.B. durch Erfahrungen aus anderen Gruppen).
Im Detail – Voraussetzungen für den einfühlsamen Zuhörkreis
Sehnsucht/Wunsch nach Gefühlen – Alle Gefühle gleichermaßen willkommen heißen wollen
Mehr als die Bereitschaft, dass auch Gefühle Raum bekommen – nach dem Motto „ich bin für alles offen“; sondern der besondere Wunsch/die Sehnsucht, dass gerade für Gefühle Raum da ist – für die eigenen und die der anderen – insbesondere für die unangenehmen wie Trauer, Schmerz, Hilflosigkeit, Unsicherheit, Scham …
Und damit meinen wir nicht endlose Ärger- oder Trauergeschichten (wo die Gefühle dahinter verborgen bleiben) oder Berichte über gesellschaftliche Probleme, die viele aufregen, sondern es geht um den Wunsch immer mehr das ganz Persönliche (Andersartige oder Verletzliche) zu zeigen.
Auch meine ich (Andreas) nicht, dass Du Gefühle zeigen können musst. Oder wer am meisten Gefühle zeigt, hat gewonnen. Ob Du nun Gefühle zeigst oder gerne näher zu Deinen Gefühlen kommen willst, beides ist willkommen. Hauptsache es ist Dir wichtig, dass Gefühle Raum bekommen – in Dir sowie im Miteinander; und gerade auch die, die im Miteinander gerne versteckt werden.
Sprich, wenn Du zwar auch unangenehme Gefühle wie Schmerz kennst, an diese im Zuhörkreis allerdings lieber nicht rankommen willst oder Du den Kreis gerne in Richtung Stärkung und Freude lenken möchtest, weil Du keinen Sinn darin siehst, dass wir über Dinge sprechen, die uns traurig oder hilflos machen, dann passt dieser Kreis nicht zu Dir. Es gibt Kreise, die auf Stärkung ausgerichtet sind und Ressourcen-orientiert „arbeiten“.
Wenn wir so viele unangenehme Gefühle zulassen wollen, dann ist es wichtig, dass wir immer wieder nach Wegen suchen, mit diesen Gefühlen umzugehen, damit dies nicht in ein Aushalten oder ein Ausagieren ausartet. (Leichter ist’s, ein bestimmtes Gefühlsspektrum zu bevorzugen und sich darauf zu einigen.)
Ich-Bezogenenheit – mehr als per Ich sprechen
Auch wenn ich per Ich spreche, kann ich statt von mir zu sprechen (von meinen Gefühlen, Bedürfnissen und Vorstellungen), hauptsächlich über den anderen sprechen (über seine Gefühle, sein Verhalten, seine Einstellungen). Auch wenn dies dann als persönliche Sicht oder Wahrnehmung ausgesprochen wird („Ich finde, dass Du …“ oder „Ich nehme Dich als … wahr“), kann diese Meinung oder Spiegelung vom Anderen als trennend erlebt werden, weil ich damit dennoch den anderen (bzw. sein Verhalten) definiere und bewerte.
Sehr verbreitet ist auch, nachdem jemand von seinen Sorgen und Nöten gesprochen hat, eigene oder allgemeine Geschichten oder Sinnsprüche mitzuteilen mit dem – vielleicht unbewussten – Motiv, dem anderen zu helfen. Auch das ist bei uns nicht erwünscht, außer auf Anfrage.
Und – last but not least – erhöht sich auch bei Auseinandersetzung – also wenn uns die Worte oder das Verhalten eines anderen unangenehm werden – die Chance beträchtlich, dass die Herzensverbindung untereinander dennoch nicht abreißt, wenn wir die von uns wahrgenommene Störung ausschließlich ich-bezogen ausdrücken.
Regellos für Freiheit, Freiwilligkeit und Individualität
Mit Regeln verbinde ich (Andreas) den Wunsch, dass Miteinander sicher zu regeln, so dass wir uns nicht immer wieder darüber verständigen müssen. Dabei können die Regeln in der Gruppe selbst festgelegt werden und müssen nicht den üblichen Regeln entsprechen. Klingt erst mal herrlich für mich: Keine Zeit geht mehr mit Abstimmung verloren und ich kann mich emotional sicher fühlen, weil das Verhalten geregelt ist.
Trotzdem verzichten wir bewusst auf Regeln und arbeiten ausschließlich mit Empfehlungen, damit keiner sich auf Regeln berufen kann, sich quasi dahinter verstecken kann mit seiner individuellen Befindlichkeit und auch damit keiner etwas einfordern kann. Bei Regeleinforderung – oder auch nur Erinnerung an die Regel – besteht für mich zu sehr die Gefahr, dass der andere nur aus Scham, Pflicht, Schuld oder Angst die Regeln befolgt. Uns ist allerdings Freiwilligkeit sehr wichtig und damit dass jeder nur aus Freude und aus einem inneren Wunsch heraus sich entsprechend verhält, z.B. dass alle – sich selbst eingeschlossen – sich miteinander wohl & sicher fühlen. (Unser „Erinnerungsservice“ scheint dem zu widersprechen, jedoch betont er in seiner Natur die Freiwilligkeit und lässt die Verantwortung für die Bedürfniserfüllung beim Inhaber. [Mehr dazu…])
Zudem kann bei Menschen mit großem Freiheitsbedürfnis ein untergründiger Widerstand gegen jede Regel entstehen, weil sie sich nicht mehr ganz frei fühlen. Und Regeln schützen uns nicht davor, dass andere sich aus diesem Widerstand heraus doch gegen die Regeln verhalten. Wer will dann die Regeleinhaltung erzwingen und wie?!
Die immer wieder neu auftauchenden Bedürfniskonflikte sind für uns auch nicht lästige Ungeklärtheiten, sondern willkommen als Ausdruck der Lebendigkeit im Jetzt und der individuellen Unterschiedlichkeit.
Offenheit für ungewohnte Methoden
Wir brauchen Deine Sehnsucht nach Neuem, noch Ungewohntem im Miteinander. (Und das ist mehr als die Bereitschaft, sich auf alles einzulassen / für alles offen zu sein!) Insbesondere Deine Bereitschaft ungewohnten Methoden (Sanduhr, Redefrosch…) und Rituale mitzumachen. Für uns sind sie Hilfen, so dass wir das Neuland nicht völlig orientierungslos betreten. Sie sind grundsätzlich freiwillig und Du bist eingeladen, sie mitzugestalten. Ganz ohne ungewohnte Hilfen können wir erfahrungsgemäß jedoch nicht den lebwendigen Raum aufrecht erhalten.
Auf welchen Ansätzen baut unser Zuhörkreis auf?
- Community Building Process nach Scott Peck
- Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg
- Gerlinde R. Fritsch, Praktische Selbst-Empathie
Wir nutzen letztlich das, was sich aus der Gruppe heraus als hilfreich erwiesen hat. (Mehr dazu gerne auf persönliche Anfrage.)
Fakten: Teilnehmerkreis – Wer nimmt teil am Zuhörkreis?
Gruppengröße
Meist sind wir zu dritt oder viert, manchmal zu fünft. Der Zuhörkreis findet auch zu zweit statt, allerdings ist für mich (Andreas) dies dann etwas ganz anderes, eben keine Gruppe mehr. Die absolute Obergrenze liegt bei 8 Teilnehmenden, wobei wir alle Teilnehmende sind (bei uns gibt’s keine Leitung, vgl. all-leader-Prinzip).
Bei einem Online-Kreis können wir diesen problemlos in 2 oder mehr Kreise aufteilen, so dass wir bei virtuellen Treffen keinerlei max. Teilnehmerbegrenzung brauchen.
Bei Live-Treffen schauen wir, ob wir in zwei getrennten Räumen ggf. gleichzeitig kreisen können.
Altersspektrum / Durchschnittsalter / Vorerfahrung
Von 20-80 waren bereits alle Altersklassen bei uns vertreten. Das Durchschnittsalter liegt bei um die 45 Jahre. Doch weder Lebensalter noch Erfahrung mit einem solchen Miteinander spielen wirklich eine Rolle. Ich (Andreas) bin jedes Mal anders und erlebe den Zuhörkreis auch oft unterschiedlich. Er ist ein offener Prozess, der ganz aus dem Jetzt leben will.
Berufe
Was Du machst und was Du hast, spielt bei uns gar keine Rolle. Sehr selten fragt Dich jemand überhaupt die üblichen Fragen (Alter, Beruf, Familienstand), weil wir uns auf der Ebene der Gefühle und Bedürfnisse fühlend begegnen wollen. In unserer Gruppe findest Du demzufolge eine bunte Mischung: Auszubildende, Projektmanager in Vollzeit, Sozialarbeiter mit 50%-Stelle, Selbständige, Rentner … und auch Vollzeitaktivisten.
Zeitlicher Ablauf
für den offenen Online-Kreis (ca. 1x monatl.)
- Eintrudelphase (ca. 5 Min.): kurz „Hallo“ sagen, Mini-Orga, (Fragen zu Zoom)
- Orientierungsphase: Klärung der Technik und des Ablauf unseres Kreises
- Stille & opt. Kommunikationsempfehlungen lesen (5 Min.)
- Befindlichkeits-Check-In / Frosch-Blitzrunde:
a. „Wie bin ich gerade da?“
b. „Welche Empfehlungskarte hat mich besonders angesprochen?“ - Fünf-Minuten-Runde ohne Reihenfolge, der eigentliche Hauptteil (i.d.R. als Zuhörkreis)
- Check-out / Frosch-Runde(n): „Was will noch geteilt werden?“ als Herzensverbindungsrunden – inkl. Fragen, wie es weitergehen kann
- Verabschiedung: Alle verlassen die Zoom-Sitzung
für den geschlossenen Online-Kreis (ca. 1x wöchentl.)
- Stille (5 Min.) – auch als kurze Eintrudelphase
- Befindlichkeits-Check-In / Frosch-Blitzrunde: „Wie bin ich gerade da?“
- Rundfrage: „Wollen wir heute etwas online spielen ohne Verlierer? Oder etwas singen?“
Dadurch komme ich (Andreas) in meine Spielfreude und kann besser von meinen Alltags-Gedanken loslassen, um ganz im Jetzt anzukommen. - Fünf-Minuten-Runde ohne Reihenfolge, der eigentliche Hauptteil (i.d.R. als Zuhörkreis)
- Check-out / Frosch-Runde(n): „Was will noch geteilt werden?“ als Herzensverbindungsrunden
- Orga: Welche nächsten Termine sind für alle Anwesenden passend?
- Ausklang mit Stille (1 Min.) – ggf. nochmals eine Froschrunde im Anschluss
- Verabschiedung: Alle verlassen die Zoom-Sitzung
für den Live-Kreis
- 30 Min. Eintrudelphase, damit sich keiner hetzen muss und wir dennoch möglichst gemeinsam anfangen können
- 5-30 Min. lockere Ankommensrunde, die uns mit viel Spaß & etwas Bewegung oder auch ganz in Stille aus dem Kopf ins Hier&Jetzt bringt
- 60-90 Min. eigentliche Hauptteil (i.d.R. eine Zuhörkreis), umrahmt von einer Check-in-Befindlichkeitsrunde zu Beginn und Herzensverbindungsrunden „Was will noch geteilt werden? am Schluss
- 5-10 Min. Verabschiedungskreis: Wir spüren der Energie der Verbundenheit nach und jeder kann sich in seinem Tempo aus dieser besonderen Atmosphäre verabschieden.
Leitung: Wer leitet das Ganze?
Meistens übernehme ich (Andreas) – auf Wunsch der Teilnehmer – die Moderation. Dies schafft Sicherheit & Struktur und die anderen können sich mehr auf sich konzentrieren. (In unserer schon seit Mai 2014 laufenden Gruppe besteht bereits so viel gegenseitiges Vertrauen und Klarheit über unsere gemeinsam gewünschte Struktur, dass es keine Moderation mehr braucht, sondern spontan jemand die nötigsten strukturellen Hinweise gibt, falls wir nicht gerade Neueinsteiger/innen zu Gast haben.)
Auf jeden Fall gilt stets: jeder ist Leiter oder Initiator, d.h. jeder trägt seine Verantwortung dafür, das der Abend in seinem Sinne verläuft. [Mehr dazu…]
Dank unserer offenen und verbindenden Kommunikationsstruktur – gut, da können wir bestimmt noch dazulernen 😉 – hoffe ich, dass es dem einzelnen leichter fällt, seine Bedürfnisse einzubringen und sein breites Gefühlsspektrum in der Gruppe angenommen zu wissen.
Dabei trägt jeder nur die Verantwortung für seine Gefühle und Bedürfnisse (vgl. Lebwendige Grundsätze).
Zum Weiterlesen
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- allgemein für lebwendige Wir-Gruppen: Welche Voraussetzung solltest Du mitbringen
- unsere ungewohnten Methoden